Wider die Vergänglichkeit des Existentiellen


Christoph Braendle

Ich kann mich noch ziemlich gut an das Gefühl erinnern, als ich dieses Bild zum ersten Mal sah. Es hängt bei meinen Schwiegereltern im Salon, ist 1.30 mal 1.30 gross, ein quadratisches Format also, und wird von Gelb-, Braun- und hellen Grautönen dominiert. Ich stand wohl etliche Minuten lang bewegungslos vor dem Bild, das zu gleichen Teilen eine enorme Ruhe ausstrahlt und von einer Detailversessenheit beherrscht ist, die mich überwältigend dünkte. Dieser erste Eindruck liegt inzwischen bald zwanzig Jahre zurück, und ich habe das Bild seither unzählige Male gesehen. Es hat für mich nichts von seiner Faszination eingebüsst. Die Präzision, das Akribische und die absolute Sicherheit in der Behandlung von Form und Farbe überzeugen, der Blick nimmt bald das Gemälde in seiner Gesamtheit, bald dessen unendlich vielen Details auf. Er wird dabei von der absoluten Symmetrie unterstützt, die auch an ein Mandala erinnern lässt, ohne den Bezug dazu in irgendeiner zwanghaften Art herstellen zu wollen. Mathematisch oder organisch betrachtet: der Eindruck ist wuchtig, die Ausarbeitung bis in die kleinste Kleinigkeit hinein tadellos, so dass sich dem Betrachter immer wieder ein neuer Blick erschliesst, eine neue Erkenntnis, ein neues Erlebnis, weil der Maler auch mit der dritten Dimension gespielt hat, indem er dem Strahlenkranz Flächen zuordnete, die beinahe wie die Stufen einer Pyramide wirken.

Wer hat dieses Bild gemalt, fragte ich. Richard Hirschbäck? Nie gehört. Was mich dann doch ein bisschen erstaunte, weil ich der Meinung war, die Kunstszene einigermassen zu kennen. Ein Aussenseiter, erfuhr ich, einer, der sich dem Kunstbetrieb entzogen hat und entzieht, eine Art Weisser Elefant, ein Eigensinniger, ein Verweigerer. Nun, das wiederum konnte mich nicht allzu sehr verblüffen, weil ich eine ganze Reihe von wunderbaren Künstlern kenne, die hervorragende Werke schaffen und dennoch von Kuratoren, Museumsleitern und Galeristen in im Grunde beleidigender Weise bestenfalls ignoriert und schlimmstenfalls desavouiert werden mit ihren Behauptungen, was denn nun Kunst zu sein zu habe und was nicht. Wie oft zum Beispiel wurde von ihnen das Tafelbild totgesagt? Wie oft wurde dessen Auferstehung proklamiert? Was werden Werke und Künstler hochgejubelt, die im Grunde nicht viel mehr zu bieten haben als einen theoretischen Unterbau, der aus nicht viel mehr besteht als heisser Luft?

Was sich als Hüter der Kunst geriert, ist in vielen Fällen nichts Anderes als der Versuch, Kunstwerke zu Kapitalanlagen umzudeuten und zu Spekulationsobjekten. Konsumenten und mögliche Käufer werden entmündigt, indem mittels dogmatischer Systeme behauptet wird, zwischen wertvoller und wertloser Kunst unterscheiden zu müssen, damit dank der Verunsicherung der Kunstkonsumenten unfassbare Profite erzielt werden können.

Zum Glück für die Kunst und natürlich vor allem auch für Künstlerinnen und Künstler gibt es genug Kunstinteressierte, die sich um die Behauptungen derer wenig scheren, welche man gerne als Teile einer Kunstmafia bezeichnet. Es sind Leute, die sich ihre eigene Urteilsfähigkeit bewahrt haben und selber zu entscheiden verstehen, was ihnen gefällt. Es sind die Leute, die es ermöglichen, dass es ein inzwischen unfassbar breites Spektrum an künstlerischen Möglichkeiten gibt, weil sie mit ihren Ankäufen das Leben und Überleben einer sehr grossen Anzahl einer breiteren Öffentlichkeit unbekannter Künstler ermöglichen. Wenn man also von der Kunstlandschaft spricht, dann darf man sich gerne eine überaus reichhaltige, eine unübersichtliche und zum Teil chaotische Landschaft vorstellen, eine Landschaft mit lieblichen Wiesen, Lichtungen und Auen, mit Hügeln und Gebirgen, mit Bächen, Flüssen und Seen, aus der wie mit Punktstrahlern Vereinzeltes herausgerissen und einer überhöhten Aufmerksamkeit bereit gestellt wird, ein Baum etwa oder ein Gipfelkreuz, um es so überdeutlich zu präsentieren, das aber trotzdem nur ein verschwindend kleiner Teil des Gesamten ist.

Das Andere allerdings, das, was quasi im Schatten liegt, erschliesst seine Schönheit dem geduldigen Betrachter. Und eines genauen Betrachtens bedarf das umfassende Werk von Richard Hirschbäck. Zwar genügt, so wie es mir bei dem grossen Bild im Salon meiner Schwiegereltern passierte, schon ein erster Blick, um sich verlieben zu können. Aber das Immerwiederhinschauen, das Vertiefen und das Versenken in seine Arbeiten ist auch deshalb lohnend, weil es nicht sättigt, sondern hungrig macht, weil man mehr will und weil man sich freut, dem Bild bald wieder begegnen zu dürfen.

Meine Frau besitzt zwei weitere Arbeiten von Hirschbäck. Eine Aquarell in Rot-, Gelb- und Blautönen, das, so wie das eingangs beschriebene grosse Bild, ebenfalls aus geometrischen Mustern besteht, aber nur 40x20 Zentimeter gross ist; und ein Ölbild, 40X30 Zentimeter, das sich von den beiden anderen Werken darin unterscheidet, dass zwar auch farbige Flächen vorherrschen, die allerdings diesmal nicht einem mathematischen Prinzip folgen, sondern wild und ungestüm auf die Leinwand geworfen wurden: eine expressionistische Abstraktion in verschiedenen Rottönen und einigen schwarzen Elementen, wuchtig, intensiv und von einer Strahlkraft, als käme das Bild frisch und noch feucht direkt aus dem Atelier.

Es wird nicht erstaunen, dass die beiden Bilder in unserer Wohnung Ehrenplätze haben, Ort, wo der Blick automatisch hinfallen muss, und ich empfinde es als aussergewöhnlich befriedigend, diese Kunstwerke oft und oft betrachten zu können, weil sie einerseits vertraut wie Familienmitglieder sind und andererseits doch immer wieder neu wirken und überraschen. Aber ist es nicht das herausragendste Zeichen für den Wert eines Werkes, dass es die Zeit und ihre Gefrässigkeit zu überdauern und so der Vergänglichkeit allen Existenziellen ein Schnippchen zu schlagen versteht?